Himbeermarmelade
Das Brötchen schmeckt salzig . Ich hatte den Geschmack eines Brötchens gar nicht so salzig in Erinnerung. Und die Himbeermarmelade, sie schmeckte unbekannt süslich, verbunden mit dem salzigem Geschmack. Es war eine ungewöhnliche Kombination, aber das wunderte mich nicht. In dieser Welt wunderte mich grundsätzlich nichts mehr, denn mein ganzes Leben war auf irgendeine Weise ungewöhnlich. Schweigend saß ich da und, das einzige was ich spürte, war der salzige und süssliche Geschmack auf meiner Zunge, immer intensiver. Nachdem was passiert war, erlebte ich die ganze Welt intensiver. Die Gerüche waren intensiver, die Farben waren intensiver, die Geschmäcker waren intensiver. Ich lebte irgendwie einfach intensiver. Und es fühlte sich gut an, intensiver eben.
Es geschah an einem Freitag. Am Freitag, den 14.6. , vor genau einem halbem Jahr. Ich mochte Freitage noch nie besonders. Man musste immer die letzte Energie aus einem rausholen, um den letzten Schultag zu überstehen. Niemand hatte mehr Kraft, selbst den Lehrern merkte man es an. Meiner Meinung nach, war dieser Tag reine Zeitverschwendung. Ich lief gedankenverloren und völlig erschöpft in der drückenden Spätsommerhitze die Hauptstrasse entlang. Ich musste noch schnell zu Hause vorbei, meine Gitarre holen. Und dann direkt zur Bandprobe. Es war ein ziemlich langer Weg, aber Bus fahren tat ich nie. Ich mochte das einfach nicht. Wenn man Bus fuhr, war man nicht unabhängig und es gab nichts was ich mehr hasste, als von irgendjemandem und irgendetwas abhängig zu sein…
Die Häuser wurden allmählich grösser, die kleinen Vorgärten verwandelten sich in gepfelgte Grünflächen. Die grossen Häuser wurden zu Villen. Aus den gepflegten Grünflächen wurden Parkanlagen. Ich lief bis zum Ende dieser Villen – und Parkanlagenstrasse, bis zum letztem Haus, dem Haus in dem ich wohnte. Wenn ich selber so an mir herunterblickte, wunderte ich mich jedes Mal, dass ich hier tatsächlich wohnte. Ich war von schlaksiger Gestalt, meine Strumpfhose war zerissen, meine Schuhe ebenfalls. Der Rock, den ich trug, war von Flicken übersäht. Mein T-Shirt war alt. Und meine Haare, die den angenehmen Farbton von dezentem Kastanienrot hatten, hingen trostlos über meine Schultern und verdeckten mein hübsches, aber hageres und blasses Gesicht. Meine Lippen waren an jeglichen Stellen aufgerissen. Niemand hätte wohl je vermutet, dass ein Mädchen wie ich in einer Gegend wie dieser wohnen würde. Aber genauso wie ich aussah, liebte ich mich. Denn so wie ich aussah, konnte ich aussdrücken, wie ich mich fühlte. Und auch was ich über die Gesellschaft dachte, in der ich lebte.
Ich erreichte die Einfahrt zu ´´unserer`` Villa und schloss die vergoldete Haustür auf. Die angenehme Kälte des Marmorbodens kam mir entgegen und trotz der deartigen Hitze draussen, bekam ich Gänsehaut. Genauso kalt wie dieser Haus war, genauso ein kaltes Herz hatten auch meine Eltern und ich spürte dieses kalte Herz in diesem kaltem Haus schlagen. Es war niemand hier, wie eigentlich immer. Mein toller Vater, der den Namen ´Vater` gar nicht verdient hatte, flog irgendwo in dieser Welt umher. Meine Mum, die der Bedeutung ihres Namen `Mum´ auch nicht mehr gerecht wurde, war wahrscheinlich wieder auf einer dieser zahlreichen Wohltätigkeitsveranstaltungen, bei denen eh nichts anderes passierte, als Kaffee getrunken wurde und über den neusten Tratsch gequatscht wurde. Von Wohltätigkeit Keiner wusste so genau, was er grade tat oder wie es ihm ging oder wo er wohnte. Niemand hatte eine Ahnung, warum er so selten zu Hause war. Nur ich kannte sein Geheimnis…
Mein Zimmer unterschied sich von dem Rest des Hauses. Es war klein und dunkel. Vollgeklebt mit Postern, auf denen Menschen abgebildet waren, die Nietenarmbänder trugen. Ein Gitarrenverstärker stand in der Ecke und an der Wand hing mein geliebtes Stück, Blue Storm. Die Gitarre hatte mir mein Großvater geschenkt, kurz bevor er starb. Sie war mein ein und alles. Das Einzige, was mein Zimmer noch schmückte, war ein Bett. Die Gitarre auf dem Rücken, verließ ich das kalte Haus wieder.
Eine halbe Stunde später, wurde ich freudig von D, meinem bestem Freund, begrüßt. In einer verfallenen Garage am Rande einer Millionenstadt. Das war unser Proberaum. Ich liebte ihn. Sofort ging es los. Ich schnallte mir meine Gitarre um und war voll in meinem Element. Ich hörte nur noch die Musik, alles andere war aus meinem Kopf verschwunden. Ich hörte D’s Gesang, Jane’s Bass, John’s Keybord und Simon’s Schlagzeug. Und ich fühlte den Hass über die Welt, in dem Song, den wir spielten. Den ich geschrieben hatte. Wir bemerkten die Zeit nicht, erst als es dunkel war, erwachten wir aus unserm Wahn. Wir entschieden, hier zu bleiben und uns einen schönen Abend zu machen. Bier wurde angeschafft, die Joints wurden gedreht. Es war mein Leben und es war das, was ich wollte. Es war ein guter Abend…
Ich weiß nicht warum ich aufgewacht war. Als ich das Garagentor leise öffnete, um die andern nicht zu wecken, wurde ich von kaltem Nebel empfangen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, das etwas nicht stimmte. Ich schrieben einen Zettel für D. Und machte mich auf den Weg in das kalte Haus.
Ein unangenehmer Geruch, dieselbe Kälte empfang mich, als ich das Haus betrat. Es hatte sich etwas verändert. Eine Gänsehaut überkam mich…mir wurde wieder bewusst, wie sehr ich dieses Haus verabscheute, besonders in diesem Moment. Ich wollte einfach nur in mein Zimmer. Ich schloss mich in meinem Zimmer ein und ich wunderte mich warum die Gänsehaut immer noch da war. Ich beschloss mal einen Blick in den Spiegel zu werfen und so begab ich mich langsam ins Bad. Ich öffnete die Tür. Und als ich das sah, was ich sah, konnte man meine Gänsehaut nicht mehr als Gänsehaut bezeichnen. Ich zitterte am ganzem Körper. Dort auf dem Boden, lag mein Bruder. Tot. Um ihn herum eine riesige Blutlache. In seiner Hand ein Revolver. Erster Gedanke: Headshot. Es war ja vorauszusehen. Mein Bruder, mein geliebter Bruder, war heroinabhängig. Nur ich wusste davon. Ich hätte ihm helfen müssen. Scheisse. Es war doch nur eine Frage der Zeit gewesen. Und ich hatte zu spät eingegriffen.
Ohne zu überlegen, rannte ich! Ich rannte, als gäbe es kein Morgen mehr!
Und jetzt, jetzt sitze ich hier. Ein halbes Jahr später. Zurückgekehrt zu dem kaltem Haus. In der Hoffnung meine Schuldgefühle zu verlieren, es irgendwie wieder gut machen zu können. Ich saß hier und aß ein Brot, ein Brot mit Himbeermarmelade. Das Einzige, was ich an Essen finden konnte. Und ich schmeckte es…Ich schmeckte den Tod.
Intensiver.
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